Wenn das Hungern zur Sucht wird.
Essen ist Leben. Was so banal klingt, ist für Menschen mit Essstörungen ein großes Problem. Essen hat für sie nichts mit Genuss zu tun oder damit, Nährstoffe aufzunehmen. Es ist vielmehr ein Kampf darum, den eigenen Körper zu kontrollieren und seine Bedürfnisse zu ignorieren. Vor allem die Magersucht – der Fachbegriff lautet Anorexia nervosa – geht mit einer extremen Kontrolle des Gewichts und des Essverhaltens einher. Häufig trifft Magersucht eher Mädchen oder Frauen, aber auch Männer können daran erkranken. In unserem Beitrag erfährst du, wie Magersucht entsteht, wie sie sich auswirkt und wie sie behandelt wird.
- Magersucht bei Jungs und Männern – welche Auslöser gibt es?
- Magersucht beim Mann – die Symptome.
- Welche Folgen hat Magersucht?
- Wie wird die Erkrankung behandelt?
Magersucht bei Jungs und Männern – welche Auslöser gibt es?
Die Magersucht beginnt in der Regel früh – bei Mädchen oft schon in der Pubertät, bei Jungen meistens etwas später. Die Ursachen der Krankheit sind vielfältig. Den einen Auslöser für Magersucht bei Männern gibt es nicht. Am Anfang steht aber meist die Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen. Gerade in den sozialen Medien, aber auch in der Werbung werden junge Menschen mit schlanken und fitten Vorbildern konfrontiert, die ein scheinbar perfektes Leben haben. Das regt zum Vergleichen an. Du möchtest genau so schlank und sportlich sein. Das ist erst mal nichts Schlimmes und muss auch nicht zu einer Essstörung führen. Wenn aber andere Faktoren hinzukommen – zum Beispiel Probleme in der Familie, Mobbing, schlimme Erlebnisse, Ängste oder Depressionen – kann daraus eine Abwärtsspirale werden. Du hast das Gefühl, dass du diese Schwierigkeiten nicht hättest, wenn du fitter wärst und besser aussehen würdest. Wenn du deinen Körper kontrollieren könntest. Dann würdest du dich nicht so hilflos fühlen.
„Junge Menschen, so auch Männer, haben oft den Wunsch, sich von den Eltern und der Familie abzugrenzen. Oft fällt es ihnen aber schwer, das deutlich zu formulieren und sie haben Angst vor den Reaktionen der Eltern”, beschreibt Majdy Abu Bakr, Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Spremberg, die Situation der Jugendlichen. „Aus psychologischer Sicht wird die Magersucht oft mit dem Wunsch nach Unabhängigkeit vom Elternhaus erklärt, als eine Art passiver Widerstand. Auch das Bedürfnis nach maximaler Kontrolle spielt eine Rolle, vor allem zu Beginn der Erkrankung.“
„Die betroffenen Männer erleben, wie auch bei der Einnahme von Drogen, einen gewissen Kick, der mit der Ausschüttung von Dopamin und anderen Glückshormonen zu erklären ist.“
Expertenprofil lesenMagersucht beim Mann – die Symptome.
Magersucht entwickelt sich schleichend. Zunächst geht es dir gut dabei. Indem du immer weniger isst und ständig Sport treibst, erlebst du schnell Erfolge. Du nimmst ab und baust Muskeln auf. Das gibt dir ein Gefühl von Zufriedenheit. Leider hält es nicht lange an. Wie bei einer Drogensucht brauchst du immer mehr. Mehr Kontrolle, mehr Sport. Einfach etwas essen, worauf du gerade Lust hast? Auf keinen Fall. Du zählst Kalorien und versuchst, die Abstände zwischen Mahlzeiten zu verlängern. Deinen Eltern erzählst du, dass du nach der Schule mit Kumpels noch im Burgerladen warst. Wenn du mit anderen unterwegs bist, isst du hauptsächlich Salat. Du trinkst viel Wasser, um ein Sättigungsgefühl zu erreichen. Und wenn du doch mal schwach wirst, machst du hinterher umso extremer Sport, um die Kalorien wieder zu verbrennen. Oder du übergibst dich.
Anders als bei Bulimie ist das absichtliche Erbrechen bei Magersucht keine Reaktion auf eine vorhergehende Fressattacke. Der Magersüchtige übergibt sich nicht, weil er sich mit Essen vollgestopft hat. Vielmehr erbricht er sich schon nach einer geringen Nahrungsaufnahme. Denn der Magersüchtige möchte im Idealfall gar nichts mehr essen.
Doch all das hilft nicht. Wenn du vor dem Spiegel stehst, siehst du Fett. Einen schlaffen Körper. Sogar dann, wenn dein Body-Mass-Index schon bedenklich ist. Wirst du auf das Problem angesprochen, leugnest du es. Du bist ja nicht krank. Du achtest nur auf deinen Körper. Das Fatale: Betroffene selbst erkennen nicht, dass sie an einer Essstörung leiden. Noch dazu an Magersucht. Magersucht gilt immer noch als Mädchen- oder Frauenkrankheit. Dass junge Männer exzessiv Sport treiben und ihren Körper optimieren, wird dagegen auch im Umfeld zunächst nicht als Alarmsignal betrachtet. Magersucht bei Männern wird oft sehr spät erkannt. Erst wenn sich die gesundheitlichen Probleme häufen, kommt der Verdacht einer Essstörung auf.
Welche Folgen hat Magersucht?
Je länger die Essstörung dauert, desto größer werden die körperlichen Probleme. Du gewöhnst dir das Essen ab und hast kein Gefühl mehr für normale Mahlzeiten. Das permanente Hungern entzieht deinem Körper außerdem Nährstoffe. Es kommt zu Mangelerscheinungen. Deine Organe, vor allem die Nieren, leiden darunter. Aber auch das Herz wird stark belastet. Du bist ständig erschöpft, dir ist kalt und schon kleine Anstrengungen lassen deinen Kreislauf zusammenbrechen. Bei Jungen und jungen Männern führt eine Essstörung zudem zu sexuellen Problemen.
Magersucht betrifft aber auch das soziale Leben. Deine Gedanken kreisen nur noch darum, möglichst wenig Nahrung zu dir zu nehmen. Du kannst den Alltag mit Schule und Freunden nicht mehr bewältigen. Und du möchtest ja auch nicht ständig auf das Thema angesprochen werden. Also ziehst du dich zurück. Die Einsamkeit kann deine Essstörung noch verstärken.
„In dieser Phase erleben die jungen Männer, wie auch nach längerem Drogenkonsum keinen Kick mehr, die Glückshormone sind verbraucht und auch das Selbstwertgefühl nimmt ab. Die Sucht nach Kontrolle und Beherrschung hingegen hat sich verselbstständigt“, beschreibt Abu Bakr diese Phase der Krankheit.
Im schlimmsten Fall endet die Anorexie tödlich. Die Betroffenen hungern sich buchstäblich zu Tode. Auch Selbstmorde sind bei Magersüchtigen im Vergleich zu gesunden Menschen häufiger.
Wie wird die Erkrankung behandelt?
Eine Essstörung ist eine ernste Erkrankung, die eine professionelle Behandlung erfordert. Die Therapie umfasst körperliche und psychische Elemente. Zunächst geht es den Ärzten natürlich darum, das Untergewicht zu bekämpfen. Das passiert häufig im Rahmen einer stationären Behandlung. Der Patient erhält Flüssigkeit, Nährstoffe, Medikamente und in lebensbedrohlichen Fällen eine künstliche Ernährung.
Die Ursache der Magersucht ist damit aber noch nicht beseitigt. Denn hinter dem krankhaften Hungern steckt eine psychische Störung. Wie bei anderen Erkrankungen aus diesem Spektrum, zum Beispiel der Bulimie oder der Binge-Eating-Störung, ist bei Anorexie die Seele aus dem Gleichgewicht. Eine begleitende Psychotherapie hilft dir dabei, an diesem Problem zu arbeiten. Auch nach der Zeit im Krankenhaus. In der Therapie entwickelst du Strategien, um mit belastenden Situationen auf eine gesunde Weise umzugehen.
Der Experte erklärt: „Hierbei lernst du zum Beispiel neue, nicht schädigende Rituale zu entwickeln, deinen Körper wieder zu mögen oder auch deine normalen Bedürfnisse nach Unabhängigkeit in der Familie offener anzusprechen.“ Du lernst wieder, ohne Angst zu essen und auf die Signale deines Körpers wie das Sättigungsgefühl zu hören. Das klingt einfach, ist für Betroffene zunächst aber eine große Herausforderung.
Eine ebenso große Herausforderung kann die Suche nach einem geeigneten Therapieplatz sein. Spezielle Therapieangebote für magersüchtige Männer gibt es deutlich seltener als für Frauen. Da die Krankheit bei jungen Mädchen und Frauen häufiger auftritt, richten sich viele Angebote an sie. Gerade bei Gruppentherapien kann es schwierig sein, der einzige Mann mit Magersucht in der Runde zu sein. Falls dir das in deiner Therapie so geht, solltest du das auf jeden Fall mit dem Therapeuten besprechen. Gemeinsam könnt ihr Lösungen finden.
Wichtig ist, dass du nach der akuten Behandlung am Ball bleibst. Auch dann, wenn du mal wieder schwierige Phasen erlebst. Eine Selbsthilfegruppe kann dir helfen. Der Austausch mit anderen Betroffenen tut gut und gibt dir das Gefühl, nicht allein zu sein.
Als Krankenkasse helfen wir dir dabei, die passende Gruppe für dich zu finden. Über das Portal „Schon mal an Selbsthilfe gedacht?“ kannst du nach Angeboten in deiner Region suchen oder dich allgemein informieren. Auch die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung bietet Informationen zum Thema Essstörungen an.